Nach einer Entscheidung des FG Münster gibt Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL keine zwingende Steuerbefreiung für Umsätze aus Glücksspielen mit Geldeinsatz vor.
Im konkreten Fall ist die Antragstellerin ist – anders als das Finanzamt – der Auffassung, dass die von ihr betriebenen Geldspielautomaten in Spielhallen durch Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL umsatzsteuerbefreit seien.
Verfahren beim BFH und beim Bundesverfassungsgericht
Die vom FG Münster gewährte Aussetzung der Vollziehung hat der BFH aufgehoben und den AdV-Antrag der Antragstellerin abgelehnt (BFH, Beschluss v. 26.9.2022, XI B 9/22). Nach der dagegen gerichteten Anhörungsrüge der Antragstellerin gemäß § 133a FGO sei der BFH nicht auf das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses eingegangen. Auch habe der Oberste belgische Finanzhof im Hinblick auf den steuerlichen Neutralitätsgrundsatz das terrestrische Automatenspiel und das online angebotene Automatenspiel umsatzsteuerlich gleich behandelt und deshalb zwei Vorabentscheidungsersuche an den EuGH gerichtet. Würden zwei Oberste Finanzgerichtshöfe in der gleichen Steuerproblematik genau umgekehrt entscheiden, ergebe sich schon dadurch die Zweifelhaftigkeit der oben genannten BFH-Entscheidung.
Über die Einsprüche der Antragstellerin gegen die Umsatzsteuerbescheide sowie über ihre gegen den oben genannten BFH-Beschluss eingelegte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ist noch nicht entschieden.
Nach nationalem Recht nicht steuerbefreit
Nach der (geänderten) Auffassung des FG sind die streitigen Umsatzsteuern nicht von der Vollziehung auszusetzen. Nach § 4 Nr. 9 Buchst. b Satz 1 UStG in der Fassung ab 6.5.2006 sind die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallenden Umsätze, die von der Rennwett- und Lotteriesteuer befreit sind oder von denen diese Steuer allgemein nicht erhoben wird, nicht befreit. Die Umsätze der Antragstellerin aus dem Betrieb der Geldspielautomaten unterfallen nicht dem Rennwett- und Lotteriegesetz und sind deshalb nach nationalem Recht nicht steuerbefreit. Ebenso gibt Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL keine zwingende Steuerbefreiung für Umsätze aus Glücksspielen mit Geldeinsatz vor.
Keine Ungleichbehandlung gegenüber den öffentlichen Spielbanken
Eine Ungleichbehandlung gegenüber den öffentlichen Spielbanken besteht umsatzsteuerlich seit dem 6.5.2006 nicht mehr, da diese ab diesem Zeitpunkt durch den geänderten § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG, wie die Antragstellerin als gewerbliche Geldspielautomaten-Anbieterin, ebenfalls umsatzsteuerpflichtig sind.
Auch entspricht es einer gleichmäßigen Besteuerung, dass sowohl die Umsatzsteuer auf die Umsätze der öffentlichen Spielbanken als auch bei gewerblichen Geldspielautomaten-Anbietern nach den Kasseneinnahmen bemessen wird. Des Weiteren führt die in den einzelnen Bundesländern vorgesehene Anrechnung der Umsatzsteuer auf die Spielbankenabgabe nicht zu einer Minderung der Umsatzsteuer, sondern zu einer Minderung der Spielbankenabgabe. Damit könnte dies allenfalls zu einer Beanstandung der gesetzlichen Vorschriften für Spielbanken führen, nicht jedoch zur Rechtswidrigkeit der Umsatzbesteuerung.
Keine Ungleichbehandlung gegenüber virtuellen Automatenspielen
Seit dem 1.7.2021 unterliegen im Internet erlaubte virtuelle Automatenspiele gemäß § 22a GlüStV 2021 unter bestimmten Voraussetzungen gemäß §§ 36 ff. RennwLottG der virtuellen Automatensteuer. Während hiernach diese Umsätze aus virtuellen Geldspielautomaten seit dem 1.7.2021 gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. b Satz 1 UStG umsatzsteuerfrei sind, unterfallen die Umsätze aus terrestrischen Geldspielautomaten weiterhin der Umsatzsteuer.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin gebietet der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht, dass die Umsätze der Antragstellerin wie die der Anbieter virtueller Automatenspiele steuerfrei gestellt werden. Denn es fehlt an einer Gleichartigkeit der virtuellen und terrestrischen Geldspielautomaten, sodass nach Auffassung des FG die Umsätze nicht miteinander im Wettbewerb stehen.
Anrufung des EuGH nicht erforderlich
Einer Anrufung des EuGH im Hinblick auf die beim EuGH anhängigen belgischen Vorabentscheidungsersuche (Az beim EuGH C-73/23 und Az beim EuGH C-741/22) ist nach Auffassung des FG nicht erforderlich. Hinsichtlich der hier strittigen Umsatzsteuerbefreiung von terrestrischen Geldspielumsätzen in Deutschland sei allein entscheidend, ob die in Deutschland geltenden Regelungen unionsrechtskonform sind und nicht ob in Belgien geltende Regelungen unionsrechtskonform sind. Im Übrigen stehe den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL ein weites Ermessen zu (z. B. nur bestimmte Glücksspiele mit Geldeinsatz von der Umsatzsteuer zu befreien).
Verfassungsbeschwerde abzuwarten
Abzuwarten bleiben noch die Entscheidungen über die Einsprüche der Antragstellerin gegen die Umsatzsteuerbescheide sowie über ihre gegen den oben genannte BFH-Beschluss eingelegte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht.